Gernot Böhme, Atmosphäre

Im Frühling wohnen in Tipasa die Götter. Sie reden durch die Sonne und durch den Duft von Wehrmutsträucher, durch den Silberkürass des Meeres, den grellblauen Himmel, die blumen-übersäten Ruinen und die Lichtfülle des Steingetrümmers. Zu gewissen Stunden ist das Land schwarz vor lauter Sonne. (Albert Camus, Hochzeit des Lichts)

 

Mit gewaltiger poetischer Sprach- und Bildkraft vermittelt uns Camus die Landschaft seiner Heimat. Es ist dies eine verdichtete Landschaft, eine atmosphärische Verdichtung von Naturdingen (1). Gleich wie wir durch das geschriebene Wort in eine besondere Stimmung versetzt werden können, vermag dies auch die Malerei. Es gibt gemalte Bilder, die uns in Bann schlagen, die uns staunen und fühlen lassen – ja es gibt Bilder, die uns regelrecht „verzaubern“. Was passiert hier zwischen Betrachter und Bild? Und vordererst zwischen Mensch und Natur?

 

Böhme bespricht u.a. in seinem neu aufgelegten Buch „Atmosphäre" Ludwig Klages Formulierung der „Wirklichkeit der Bilder“: Bildern komme insofern eine Wirklichkeit zu, als sie als solche die Seele zu ergreifen vermögen (2). Auch Eva Schürmann beschreibt in „Sehen als Praxis" das Vermögen der Bilder als Kommunikatoren, indem Bilder fortwährend zwischen Mensch und Umwelt fluktuieren (3).

 

Eben diese kommunikative Wirklichkeit der Bilder macht das Spüren der (Natur-)Dinge möglich. Mit Böhmes Worten braucht es zwei Seiten um die Wahrnehmung bzw. einen Dialog zwischen Natur und Mensch zu bewirken. Zum einen das „Aus-sich-Heraustreten“ der Naturdinge in einer besonderen atmosphärischen Stimmung, zum anderen die Sensibilität bzw. Sinnesfähigkeit des sich leibhaftig im Naturraum befindlichen Menschen (4).

 

Und was passiert nun beim Betrachter vor dem gemalten Bild? Es sind ähnliche Kräfte am Wirken. Zwischen dem gemalten Bild, sofern dieses gelungen ist, und seinem Betrachter entsteht eine Zwiesprache auf sensitiver, emotionaler und imaginativer Ebene. Die Kunst (bzw. die Malerei) wird dabei zum Übersetzungsvorgang (von Natur).

 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es sind gemalte verdichtete Landschaften, die ein Eindringen des Betrachters in den Naturkörper möglich machen, durch dessen eigenleibliches Spüren der Dinge mittels Bildvermögen.

 

Ingrid Pröller

 

(1) Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Suhrkamp Verlag Berlin 2013, S. 66 ff.

(2) Ebd., S. 28 f.

(3) Eva Schürmann. Sehen als Praxis. Ethisch-ästhetische Studien zum Verhältnis von Sicht und Einsicht,

Suhrkamp Frankfurt am Main 2008.

(4) Böhme, a. a. O., S. 96.