Der Betrachter & die Rezeptionsästhetik

Gabriele Baumgartner

Reflexionen zur Ausstellung Der Betrachter ist im Bild (Wolfgang Kemp)

 

Für seine erste Publikation „Der Betrachter ist im Bild“, die sich mit Rezeptionsästhetik auseinandersetzt, fungierte Wolfgang Kemp als Herausgeber und versammelte bedeutende Aufsätze, die dem kunstgeschichtlichen Kanon – auch aufgrund ihrer kontroversiellen Sichtweisen – angehören. Alois Riegl mit seinem 1902 publizierten Aufsatz „Das holländische Gruppenportrait“, ein Standardwerk kunstgeschichtlicher Forschung, oder der aufgrund seiner Nähe zum Nationalsozialismus umstrittene Kunsthistoriker Wilhelm Pinder mit seinem Text „Die Anerkennung des Betrachters“ setzten sich als eine der ersten mit der Rolle des Betrachters auseinander.

 

Wolfgang Kemp gilt aufgrund seiner erstmaligen Zusammenführung des Themas der Rezeptionsästhetik und seiner weiteren Publikationen als einer der Begründer dieses Forschungszweiges. Als einer der bedeutendsten kunsthistorischen Vertreter zählt Hans Belting.

 

Die Rezeptionsästhetik gründet auf der Annahme, dass jedes Kunstwerk einen Betrachter als Adressaten aufweist und somit auch den wesentlichsten Punkt der Funktion in sich birgt. Sie stellt die Frage nach der gedanklichen und der emotionalen Wahrnehmung und ab welchem Zeitpunkt diese Merkmale mit dem Kunstwerk verknüpft werden: Sind sie bereits im Werk verankert oder entstehen sie erst im Prozess der Rezeption?

 

Natürlich konkretisiert Kemp in seinen späteren Aufsätzen diese Thematik in einen „impliziten“ oder einen „bildimmanenten“ Betrachter. Damit meint er, dass die Rolle des Betrachters sowohl gegenüber dem Bild als auch im Bild durch das Bild selbst festgelegt worden sein kann.

 

Immer wieder hatten Künstler im Laufe der Jahrhunderte den Betrachter in das Kunstwerk durch verschiedene „Tricks“ geholt: Sei es etwa durch Bedeutungsperspektiven, Rückenansichten und Gesten der Protagonisten oder Leerstellen. Die Methoden sind so vielfältig wie auch die gewünschten oder unerwünschten Rollen des Betrachters.

Josef Mikl

Zu einer Gipsbüste, 1948 – 49

Aquarell auf Papier, 47 x 37,5 cm

Brigitte Mikl Bruckner

Die Hitze im Schilf, 2020

Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm